Welche (neuen) Erlösquellen gibt es für Musiker*innen durch die Digitalisierung?

Veröffentlicht von Martin Wassermann am

Über die letzten Jahre haben sich für Musiker*innen viele neue Wege eröffnet, um Geld zu verdienen. In den 90er Jahren war noch ein Vertrag mit einem Plattenlabel (Tonträgerunternehmen) vonnöten, um als Musiker*in den Durchbruch zu schaffen und finanziell abgesichert zu sein. Heute, im Jahr 2020, können Musiker*innen sich mittlerweile mithilfe weniger digitaler Werkzeuge selbst eine treue Anhängerschaft aufbauen und ein regelmäßiges Einkommen sichern – vorausgesetzt, das mitgebrachte musikalische Angebot ist für eine größere Zahl Hörer*innen ansprechend. Auch wenn Musiker*innen heute wie damals nicht alle erfolgreiche Popstars werden können, so sind durch die Digitalisierung die Möglichkeiten erheblich vereinfacht worden, sich als Musiker*in mit seinen Produktionen dem (Massen-)Markt zugänglich zu machen. Von den im Zuge dieser Entwicklung entstandenen neuen digitalen Erlösquellen werden nach einer Kurzeinführung in traditionelle Einnahmequellen von Musiker*innen folgende im weiteren Text näher erklärt: Musikstreamingdienste; E-Commerce in Form von Ticketverkäufen, Merchandising, Crowdfunding, Online-Musikproduktion und Tutorials. Die Wahl der genannten Themen erfolgte nach dem eingeschätzten Grad des Einflusses auf die heutige Berufspraxis von Musiker*innen. Weniger verbreitete neue Erlösquellen, wie etwa die Soundtrackproduktion für Computerspiele, werden hier ausgeklammert. Diese kurze Abhandlung dürfte vor allem für Musiker*innen und Musikwirtschaftsakteur*innen von Interesse sein. Das komprimierte Wissen kann aber auch für Forschende der Musik- und Medienwissenschaften, Journalist*innen oder interessierte Laien nützlich sein.

Musiker*innen und ihre traditionellen Einnahmequellen

In ihrem Beruf können Musiker*innen verschiedenen Tätigkeiten nachgehen. Die klassischen Berufsmusiker*innen spielen meistens ein Instrument oder singen in einem Ensemble, Orchester oder einer Band. Sie sind sogenannte Instrumentalist*innen oder Sänger*innen. Daneben gibt es Musiker*innen, die Musikstücke für die Instrumentalist*innen und Sänger*innen kreieren, also Komponist*innen sind. Wenn es um die Tonträgerproduktion geht, betätigen sich wieder andere Musiker*innen in Tonstudios als Musikproduzent*innen oder Toningenieur*innen. Musiker*innen können sich aber auch in mehreren der genannten Berufssparten gleichzeitig, und/oder darin als Lehrkräfte privat oder an Musikschulen und Universitäten betätigen. Die bisherigen „klassischen“ und auch weiterbestehenden Einnahmequellen für Musiker*innen beinhalten vornehmlich den Gewinn aus Tonträgerverkäufen, Konzertgagen, Gehälter aus Lehrtätigkeiten oder Ensembleanstellung, Tantiemen oder prozentuale Umsatzbeteiligungen am Tonträgerverkauf als Musikproduzent*innen oder Komponist*innen, Tantiemen durch Rundfunksendezeit oder über Rechteverwertung. Durch die Digitalisierung sind allerdings einige neue oder neuartige Erlösquellen dazugekommen, die im Folgenden beschrieben werden.

Streaming

Die Musikdistribution hat sich bedingt durch den digitalen Medienwandel und seine Auswirkungen auf die Musikkultur grundlegend verändert. Bis Ende der 1990er Jahre war noch die Vermarktung von Musikstücken auf physischen Tonträgern in Form von Schallplatten oder CDs vorherrschend. Ein Plattenlabel übernahm für die Musiker*innen gegen eine Übertragung von Rechten an der Musik typischerweise folgende Funktionen: Die Herstellung und Vervielfältigung der physischen Tonträger, als Verlag die Rechteauswertung und als Vertrieb den Verkauf. Die Verteilung der Erlöse aus der Vermarktung physischer Tonträger wurde dabei meist durch Verträge mit dem Label geregelt. Die Musiker*innen wurden an den erzielten Umsätzen je nach vertraglicher Vereinbarung beteiligt. Heute werden Musikstücke weitestgehend als digitale Musikdateien vermarktet. Sogenannte Musikstreamingdienste ermöglichen es den Musiker*innen, ihre Musik(-dateien) ohne Tonträgerunternehmen selbständig zu veröffentlichen und zu vertreiben. Die Dienste können dabei durch digitale Musikvertriebsplattformen per Upload mit der im Heimstudio produzierten Musik bestückt werden, sodass auf der ganzen Welt Menschen per Computer oder Handy mit Internetzugang die hochgeladene Musik sofort anhören (streamen) können. Diese Plattformen sind vielfach neue eigenständige Firmen, die in der Regel nur die Vermittlung zwischen den Musiker*innen und den Streamingdiensten übernehmen. Bekannt sind etwa Spinnup.com oder Distrokid. Die Vermittlung läuft so ab, dass die Vertriebsplattformen gegen eine Gebühr die von den Musiker*innen hochgeladene Musik an die Streamingdienste ausliefern und umgekehrt das Geld einsammeln, das die Streamingdienste auszahlen, wenn die Musik gestreamt wurde. Die Streamingdienste finanzieren sich selbst und die Musiker*innen dabei durch monatliche Nutzungsgebühren und Werbeeinnahmen. Die gesammelten Einnahmen können sich die Musiker*innen wiederum von den Vertriebsplattformen häufig zu 100% auszahlen lassen, da diese meist keine Rechte an der Musik besitzen. Die Musiker* innen sind somit nicht mehr auf Erlöse durch ein Plattenlabel als Tonträgerhersteller, Verlag und Vertrieb angewiesen, sondern nutzen Musikstreamingdienste mithilfe digitaler Vertriebsplattformen als neue Erlösquelle .

E-Commerce: Ticketing und Merchandising

Nach wie vor ist es für Musiker*innen üblich, auf Konzerten Merchandisingprodukte, wie etwa bedruckte Jutebeutel, Shirts, Tassen, Anstecker, Autogrammkarten oder andere Erinnerungsstücke zu verkaufen. Daneben existieren auch immer noch Musikläden, in denen Fans physische Tonträger, Konzerttickets und Merchandisingprodukte ihrer Lieblingskünstler*innen kaufen können. Die Digitalisierung hat den traditionellen Handel mit Tickets und Merchandising seit Ende der 90er Jahre allerdings größtenteils durch E-Commerce ersetzt. Der Begriff E-Commerce (electronic commerce / elektronischer Handel) steht allgemein für den Handel im Internet. Für Musiker*innen ergeben sich durch E-Commerce verschiedene neue Vertriebswege: Konzerttickets müssen jetzt nicht mehr über Zwischenhändler an die Fans verkauft werden, sondern können über Online-Shops auf der eigenen Webseite der Musiker* innen angeboten werden. Ebenso verhält es sich mit Merchandising. So sind Musiker* innen nicht mehr gezwungen, eine Vermittlungsprovision an Zwischenhändler zu zahlen, sondern können die gesamten Einnahmen aus dem E-Commerce selbst behalten. Je nach Anzahl der Verkäufe kann es für Musiker*innen allerdings schwierig werden, den damit einhergehenden logistischen Aufwand zu bewältigen. Deshalb haben sich, ähnlich wie bei den Musikstreamingdiensten, verschiedene digitale Vertriebsplattformen etabliert, die gegen eine Gebühr oder prozentuale Beteiligung die Vertriebslogistik übernehmen. Bekannte Plattformen sind beispielsweise Teespring oder Spreadshop. Der logistische Aufwand ist vor allem beim Vertrieb von physischem Merchandising, wie Textilien oder Haushaltsgegenständen, vielfach höher als bei virtuellen Produkten, wie Musikdateien. Der Ticketverkauf ist zwar virtuell möglich, (Fans können sich Tickets aus dem Online-Shop herunterladen und selbst ausdrucken oder als Code auf dem Handy speichern) ist aber aufgrund der Organisation der Platzverteilung in Konzerthallen logistisch mitunter ebenfalls aufwändiger, sodass auch hier Drittdienstleister wie etwa Tickettoaster oder Eventbrite zum Einsatz kommen müssen. Der E-Commerce von Konzerttickets, Merchandising und Fanservices kann somit nur als neu-artige Erlösquelle angesehen werden, da sich die Umsetzung wie beim traditionellen analogen Handel häufig nicht ohne beteiligte Dritte bewerkstelligen lässt. Die Musikstreamingdienste können bei der präziseren Planung des Onlinehandels und Marketings helfen, da sie durch implizites Hörermonitoring (die Vertriebsplattformen zeigen an, in welchem Land die Musik gehört wurde) potenziell lukrative Verkaufsplätze aufzeigen .

Crowdfunding

Wenn Musiker*innen über Streaming, Konzerte oder E-Commerce zu geringe Erlöse erzielen, um ihr künstlerisches Schaffen oder ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, kann Crowdfunding für zusätzliche Einnahmen sorgen. Gab es auch früher schon Spendenaufrufe zur Projektfinanzierung, so hat sich durch die Digitalisierung vor allem im künstlerischen Bereich seit Mitte der 2000er das Crowdfunding als Begriff und Methode der Wahl etabliert. Beim Crowdfunding (dt. „Schwarm- oder Gruppenfinanzierung“) kommt auf einer speziell dafür eingerichteten Online-Plattform eine große Gruppe von Menschen zusammen, die ein (künstlerisches) Projekt, wie z.B. die Produktion von Musik im Tonstudio, mit einer Spende finanziell unterstützt. Bekannte Beispiele sind Startnext oder Patreon. Die Spender*innen erhalten je nach Höhe der gezahlten Beträge verschiedene Gegenleistungen seitens der Projektersteller* innen. Die Transaktionen werden über die Plattformen vermittelt. Dort können die Projektersteller*innen ihr Projekt vorstellen, den potenziellen Spender*innen erklären, wo und wie ihr Geld eingesetzt wird, und mit Gegenleistungen werben. Bei Musiker* innen können sich diese Leistungen etwa von kleinen Merchandisingartikeln für einen geringen Geldbetrag bis zu einem Privatkonzert für Beträge über mehrere hundert Euro erstrecken. Ebenso ist es auf Crowdfunding-Plattformen möglich, Medieninhalte, wie Videos oder Musikstücke, exklusiv für Spender*innen anzubieten. So können eventuell weitere Spender*innen gelockt und zu Fans werden. Beim Crowdfunding liegen die Gegenleistungen im Ermessen der Projektersteller*innen und es gibt keine Verpflichtungen zu spenden oder zu belohnen .

Online-Musikproduktion und Tutorials

Seit einigen Jahren können Musiker*innen in ihren unterschiedlichen Sparten ihre Dienste auch über das Internet anbieten. Aufgrund der fortgeschrittenen technologischen Entwicklung ist es Musiker*innen möglich ihre Musik zu Hause aufzunehmen (Home-Recording), ohne dafür in ein großes Tonstudio gehen zu müssen. Musikproduzent* innen können den Musiker*innen in der Folge anbieten, per Online-Mixing oder -mastering die entstandenen Aufnahmen aus der Ferne zu produzieren (abzumischen), ohne jemals mit den Musiker*innen in engeren Kontakt treten zu müssen. Die Musiker*innen können durch die technischen Möglichkeiten des Home-Recording ihre Musik aber auch selbst ohne weitere Beteiligte produzieren. Dabei müssen nicht immer ganze Songs entstehen, oft werden nur einzelne Tonschnipsel, sogenannte Samples, produziert. Das Sample besteht aus einer kurzen Melodie, einer Akkordfolge, einem Rhythmus (Beat) oder allen dreien zusammen, eingespielt mit einem oder mehreren Instrumenten. Diese Samples können ebenso wie komplette Songs über spezielle Vertriebsplattformen verkauft werden. Als Beispiel kann die Beatproduktion im Hip Hop gelten, weil in diesem Genre besonders häufig Samples, etwa auf Beatstars.com oder Airbit.com, verkauft werden. Viele Musiker*innen geben ihr Wissen etwa über die Beatproduktion mittlerweile über Videoseminare, auch Tutorials genannt, weiter. Früher wurden solche Tutorials als Lehr-DVDs verkauft, heute ist der Abruf dieser Tutorials online kostenfrei möglich. Der kostenlose Content dient dabei allerdings zumeist als Appetizer. Für den Abruf von weiteren, umfangreicheren Tutorials kann auch online eine Gebühr anfallen. Musiker* innen bieten aber nicht nur Tutorials zur Beatproduktion, sondern vor allem auch als Unterricht am Instrument oder im Gesang an. Bekannte Beispiele sind Lessonface.com oder Mymusicschool.com. Durch die Möglichkeit der Online-Musikproduktion und -lehrtätigkeit ist damit eine weitere Erlösquelle für Musiker* innen durch die Digitalisierung entstanden .

Erlösung durch Digitalisierung?

Die neuen oder neuartigen Erlösquellen für Musiker*innen welche sich durch die Digitalisierung ergeben haben, bestehen zusammengefasst vor allem aus Musikstreamingdiensten für den Vertrieb von Tonträgern, E-Commerce für den Vertrieb von Konzerttickets und Merchandising, Crowdfunding für eine Unterstützung durch Spenden, Onlinehandel mit Dienstleistungen wie Musikproduktion und Videolehre in Form von Tutorials. Wie sich in der Darstellung zeigte, sind nicht alle hier genannten Erlösquellen von Grund auf ‚neu’, sondern meistens digitale Varianten von bereits vorhandenen und durchaus weiterbestehenden Erlösquellen. Als wirklich neue, indirekte Erlösquelle kann aber der Gewinn an Effizienz und damit an Zeit verstanden werden, der durch die Digitalisierung in den verschiedenen Sparten, wie etwa Musikproduktion und Tonträgervertrieb ermöglicht wird. Eine zusätzliche neue, aber auch indirekte Erlösquelle besteht in der Vergünstigung verschiedener Dienste durch die Digitalisierung oder der Einsparung bestimmter Gebühren, wie z.B. der Umsatzbeteiligung von Vermittlungsinstanzen am Tonträger- oder Merchandisinggeschäft. Diese Erkenntnis kann oder vielmehr sollte dazu veranlassen, den Blick für neue Arten von Erlösquellen zu erweitern. Ein großes Feld eröffnet sich etwa im Bereich der digitalen Rechteverwaltung, auch Digital Rights Management (DRM). Nach wie vor hat sich für Musiker*innen kein Modell zur Vergütung durch Lizenzgebühren und Rechtsansprüche ohne beteiligte Dritte, wie Verlage, Labels oder Verwertungsgesellschaften (GEMA) realisieren lassen. Die neuen digitalen Erlösquellen zeichnen sich vielfach durch Effizienzgewinn und Einsparung von Zwischeninstanzen aus. Auch das DRM birgt hier großes Potenzial. Eine vielversprechende Entwicklung ist die Blockchain- Technologie, bei der Transaktionen zwischen Musiker*innen und Fans über bestimmte digitale Codes auf deren Computern ohne Umwege gebucht werden können. Für weitere Informationen dazu empfiehlt sich der Beitrag zu der Frage Welche digitalen Medientechnologien sind für Musikentrepreneure bedeutsam? auf dieser Webseite.

Literatur

Gilli, L., & Röver, A. (2019). Die Blockchain in der Musikindustrie. In M. Ahlers, L. Grünewald-Schukalla, M. Lücke, & M. Rauch (Eds.), Big Data und Musik. Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung. (pp. 99–128). Springer VS.
Jansen, I. (2020). Crowdfunding ist Networking. In C. Holst (Ed.), Kultur in Interaktion (pp. 159–168). Springer Gabler.
Ruth, N. (2019). Musik auf Online- und Mobilmedien. In H. Schramm (Ed.), Handbuch Musik und Medien. Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21943-7_9-1
Tschmuck, P. (2019). Die ökonomischen Wechselwirkungen von Musikindustrie und Medien. In H. Schramm (Ed.), Handbuch Musik und Medien (pp. 551–568). Springer VS.

 

Zitation

Wassermann, Martin (2020): Welche (neuen) Erlösquellen gibt es für Musiker*innen durch die Digitalisierung? Musik und Medien – Das Wissensportal. Online verfügbar unter https://www.musikundmedien.org/2020/11/25/wassermann_2/

Kategorien: ManagementWirtschaft

Martin Wassermann

Studierender im Master Studiengang "Medien und Musik" an der HMTM Hannover, Musikproduzent unter dem Namen "Martin Centaury".