Welche digitalen Medientechnologien sind heute für Musikentrepeneur*innen bedeutsam?

Veröffentlicht von Martin Wassermann am

Die Entwicklung und Verbreitung digitaler Medientechnologien, wie etwa des Heimcomputers, der Netzwerkmedien und Social Media Plattformen, hat zu einer maßgeblichen Vereinfachung, Beschleunigung und Unmittelbarkeit von Produktion, Kommunikation und einer gesteigerten Interaktion zwischen Individuen von, über und mit Musik geführt. Neue digitale Vertriebskanäle wurden eröffnet oder sind im Begriff zu entstehen und die Zirkulation von Musik als Produkt kann marktanalytisch detaillierter denn je nachvollzogen werden. Wer sich also 2020 beruflich als freischaffende*r Musikentrepreneur*in engagieren und sich z.B. ein eigenes Unternehmen aufbauen möchte, sei es als Musiker*in mit eigener Band oder Orchester, als Agentur, Label oder Verlag, als Musikjournalist*in mit eigenem Format, als Veranstalter*in und Promoter*in oder als innovatives Musik-StartUp, kurz: jede*r, der mit Musik Geld verdienen möchte, kommt nicht umhin, digitale Medientechnologien zu nutzen, um auf sich aufmerksam zu machen. Ebendiese digitalen Medientechnologien, ihre Entwicklungen und Funktionsweisen, und deren Effekte auf die Wertschöpfung der Musikentrepreneur*innen sind Gegenstand dieses Artikels. Die Darstellung der einzelnen Technologien ist in vier Oberkategorien eingeteilt: Zunächst werden Medientechnologien beleuchtet, die eine Verbesserung der Sichtbarkeit des unternehmerischen Handelns generieren. Danach folgt eine Betrachtung der Entwicklungen in den Bereichen Musikproduktion und Vertrieb. Schließlich wird eine aktuelle Technik der Marktanalyse erläutert. Im Rahmen dieser kurzen Einführung werden nur die neusten Forschungspublikationen und ausgewählte Medientechnologien behandelt, die vor allem für die genannten Zielgruppen von Interesse sein können. Das hier komprimierte Wissen kann allerdings auch für Forschende der Musik- und Medienwissenschaften, Journalist*innen oder interessierte Laien nützlich sein.

Entwicklung der Digitalisierung von Musik

Mit dem Aufkommen des Internets hat sich der mediale Umgang mit Musik grundlegend verändert. Frühe digitale Medientechnologien, wie etwa die CD, waren noch haptisch zu gebrauchen und wurden als physische Tonträger bezeichnet. Seit der Entwicklung des MP3-Formats Ende der Neunziger wird Musik im Jahr 2020, neben dem Radio, nun größtenteils über das Internet konsumiert. Mit weitreichenden Folgen: Es ist heute beispielsweise sehr leicht möglich, Musik als Datei digital zu kopieren oder zu remixen, also neu zusammenzustellen, wobei rechtliche oder kulturelle Fragen dazu nicht immer hinreichend geklärt sind. Viele Musikaktivitäten, die vorher nur im kleinen Freundeskreis geteilt wurden, konnten durch neue softwarebasierte Netzwerkmedien wie Napster oder Myspace und später Youtube, Facebook und Instagram mit dem Rest der Welt verknüpft werden. Ehemalige private Aktivitäten wurden auf diese Weise öffentlich und unterliegen damit einerseits dem Urheberrecht, andererseits neuen (Musik-)Geschäftsmodellen. Die Rezipient*innen konsumieren die Produkte der Musikindustrie nicht mehr nur: Als Internetnutzer*innen üben sie mittlerweile viele verschiedene Arten von musikverbundenen Aktivitäten (Musik hören, produzieren, remixen, kommentieren etc.) an und mit ihr aus. Über das Internet können sie ihre mit Hilfe einer günstigen Software zu Hause im Schlafzimmer angefertigten Musikproduktionen für die Öffentlichkeit sicht- und hörbar machen. Eine der ersten erfolgreichen Multiplikatoren war die Social Media Plattform Myspace. Sie bot spezielle Dienste für Musiker*innen: Diese konnten Songs hochladen, Geschichten dazu schreiben und sich online direkt mit ihren Fans verbinden und interagieren. Zum ersten Mal in der Geschichte der Musikwirtschaft war es für alle Musikschaffenden gleichermaßen möglich, durch gezieltes Onlinemarketing ein internationales Publikum zu erreichen. Musiker*innen brauchten nunmehr keine Plattenfirma oder andere Vermittler mehr, um mit ihren Fans in Kontakt zu treten und ihre Musik online zu promoten. Die Macht der selbständigen unabhängigen Musikentrepreneur*innen wurde durch die neuen digitalen Möglichkeiten verstärkt, während traditionelle Musikvermittler wie die großen Plattenfirmen scheinbar das Nachsehen hatten. Mittlerweile haben sich viele weitere digitale Medientechnologien etabliert, einige befinden sich noch im Entwicklungsstatus. Ist in diesem Artikel von digitalen Medientechnologien die Rede, sind damit vor allem immaterielle, computergestützte Software-Technologien gemeint, die teils im Internet angeboten werden. Das schließt die o.g. Netzwerkmedien, wie auch Softwareprogramme zur Musikproduktion, programmierte Algorithmen und künstliche Intelligenzen, digitale Bezahlsysteme, Programme zur Analyse von marktbezogenen Nutzerdaten und andere Automatismen ein.

Sichtbarkeit und Social Media

In Bezug auf die Frage, wie sich Musikentrepreneur*in heute für Rezipient*innen sichtbar machen und medial inszenieren können, sprechen Forscher*innen den digitalen Netzwerkmedien eine hohe Bedeutung zu. Die Technologie dahinter funktioniert aus Anwenderperspektive so: Nutzer*innen erstellen in den Netzwerkmedien zunächst ein Profil von sich selbst und/oder ihrer Arbeit als eine Art eigene Homepage. Um das Profil zu gestalten, können sie persönliche Bilder oder Banner ihres Unternehmens, Videos oder Musik hochladen. In einem Infokasten kann die Person oder das Unternehmen sich selbst beschreiben und in einer Art Chronik Neuigkeiten in Form von Text, Bild, Video oder Musik präsentieren. Besucher*innen können mit dem Profil und dessen bereitgestelltem Content durch sogenannte Mikrokommunikate wie Likes, Kommentare, Tweets, Bilder oder Musikstreaming- Aufrufe und Songspeicherungen in Playlisten auf vielfältige Weise interagieren. Den Musikentrepreneur*innen wird dadurch eine eigenständig aufgebaute Selbstinszenierung im Internet ermöglicht, die einen hohen Wiedererkennungswert schaffen und zur Identifikation mit dem/der Musikentrepreneur*in und seiner/ihrer Marke beitragen kann.

Musikproduktion und künstliche Intelligenz

Weitere bedeutende digitale Medientechnologien sind in den letzten Jahren im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) entwickelt worden. Wie KI im Allgemeinen funktioniert, kann hier aus Platzgründen nicht weiter vertieft werden. Hinsichtlich der Produktion von Musik ist die KI mittlerweile so weit fortgeschritten, dass nicht nur die Komposition einzelner Melodien, sondern die Produktion ganzer Songs, vom Songwriting über die Aufnahme, bis zum Abmischen der Audiospuren und der Bereitstellung für etwa Musikstreamingdienste prinzipiell möglich ist. Um Musik zu produzieren, bedarf es Emotion und Kreativität, was nach landläufiger Auffassung bisher den Menschen vorbehalten war. Forscher*innen versuchen jedoch seit einigen Jahren Computern durch die Programmierung immer neuer Algorithmen eine Art „künstliche Kreativität“ (KK) anzutrainieren. Die KI sammelt und speichert dazu mit Hilfe großer Datenbanken Informationen aus bereits vorhandenen Musikstücken bezüglich Instrumentierung, Harmonie, Rhythmus, Tempo, Klangfarbe, Stimmung etc. und verwendet das sogenannte Deep Learning, ein dem menschlichen Lernprozess nachempfundenes Verfahren des maschinellen Lernens, dazu, sich die Eigenheiten und Vorgehensweisen der Musikproduktion anzueignen. KI kann somit langfristig in einem von Menschen abgesteckten Rahmen innovative Wege der Musikproduktion aufzeigen. Die aktuell möglichen Resultate unterscheiden sich jedoch noch nicht sonderlich von bereits bekannten Produktionen, können aber z.B. als Werbe- oder Kaufhausmusik genutzt werden.

Vertrieb und Blockchain

Das große Thema auf Branchentreffen der Musikindustrie der letzten Jahre, welches die Art des Vertriebs von Musikproduktionen und -aktivitäten nachhaltig verändern könnte, ist die Blockchain-Technologie. Viele Musiker*innen beklagen seit längerem eine mangelhafte Rechteverwertung der von ihnen mitgetragenen Produktionen und die damit verbundene nicht vorhandene, unfaire oder zu gering ausfallende Vergütung ihrer kreativen Arbeit. Die Musikschaffenden erhoffen sich deshalb durch die Blockchain mehr Transparenz hinsichtlich der an der Musikproduktion beteiligten Akteure. Dazu gehören eine Standardisierung von Metadaten (einer Musikdatei angefügte Benennungen der beteiligten Akteure an der jeweiligen Produktion), eine gerechtere Umsatzverteilung zugunsten eines erkennbar höheren Arbeitsaufwands und eine sofortige und direkte Auszahlung der etwa durch Streamingdienste generierten Einnahmen. Bislang lässt die Vergütung durch Streamingdienste teilweise noch mehrere Monate auf sich warten. Aus technologischer Perspektive könnte sich das folgendermaßen ändern: Die Blockchain funktioniert in etwa wie ein digitales Registerbuch, das Informationen über Transaktionen in Datenblöcken aneinander gekettet dezentral auf den Computern innerhalb eines Netzwerkes der einzelnen Nutzer*innen speichert. Jeder Datenblock enthält zusätzlich einen sogenannten Hash (eine Prüfnummer), der auf den nächst angeketteten Block hinweist. Auf diese Weise kann jeder Zahlungsvorgang und jede Veränderung in der Blockchain lückenlos und transparent nachvollzogen werden. Als Zahlungsmittel werden Kryptowährungen, wie beispielsweise der Bitcoin, verwendet, deren Bezeichnung auf die in der Datei enthaltene kryptografische Signatur zurückgeht. Bei der Transaktion über die Blockchain sind die Beteiligten nicht mehr auf eine dritte Partei, wie etwa eine Bank, als Vermittler angewiesen, da die Rechnungs- und Verwaltungsprozesse in der Blockchain ablaufen. Um die sofortige und direkte Vergütung der Beteiligten zu gewährleisten, können sogenannte Smart Contracts in die Blockchain geschrieben wer- den. Dabei handelt es sich um in programmierte Ausführungsbefehle übersetzte vertragliche Vereinbarungen zwischen den Musikschaffenden. Die Blockchain-Technologie befindet sich aktuell noch im Entwicklungsprozess und es gibt kritische Stimmen, die auch auf eventuelle Grenzen dieser Technologie hinweisen.

Marktanalyse und Big Data

Bei der Analyse und Auswertung von Daten hinsichtlich der Nutzung von Social Media Plattformen oder Streamingdiensten spricht man aus technologischer Sicht von der Big-Data-Analyse. Der Begriff Big Data umschreibt hier vor allem die Verarbeitung von sehr großen, unstrukturierten, sich stetig verändernden und schwer zu erfassenden Datenmengen, die aus den „digitalen Spuren“ von Internetnutzer*innen gewonnen werden. Die Big-Data-Analyse dient dazu, mithilfe von Algorithmen und statistischen Verfahren eventuelle Zusammenhänge und Muster im Nutzungsverhalten von digitalen Plattformen aufzuzeigen, um auf Basis der gewonnen Erkenntnisse bessere unternehmerische Entscheidungen treffen zu können. Von Interesse ist bei der Analyse nicht nur das vergangene oder gegenwärtige Nutzungsverhalten, sondern die Möglichkeit der diesbezüglichen Prognose. So versuchen etwa die großen Plattenfirmen aufgrund solcher Daten Rückschlüsse auf das Marktpotenzial neuer Künstler*innen zu ziehen und beurteilen deren Songs vermehrt unter statistischen Gesichtspunkten, indem berechnete Voraussagen darüber getroffen werden, ob ein Song an der Spitze der Charts landet, also ein Hit wird. Daneben werden durch die netzbasierte Mikrokommunikation Daten über das Konsument*innenverhalten gesammelt, die von den Musikentrepreneur* innen zur strategischen Planung z.B. einer Online-Marketingkampagne in den digitalen Netzwerkmedien ausgewertet werden können.

Von Konsument*innen zu Prosument*innen

Die in diesem Artikel kurz dargestellten, zentralen digitalen Technologien machen das Geschäft mit Musik für Musikentrepreneur*innen auf eine völlig neue Weise möglich und bedeutsam. So wird etwa der Musikkonsum durch immer neue Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine revolutioniert und künstliche Intelligenzen tragen zu einer Automatisierung der Musikproduktion bei. Durch das Internet und seine Verbreitung sind die meisten digitalen Musikmedientechnologien heute für alle nahezu kostenfrei zugänglich. Nutzer*innen dieser Technologien entwickeln sich dabei immer mehr von Konsument*innen zu Prosument*innen (ein zusammengesetztes Wort aus den Begriffen „Konsument*in“ und „Produzent*in“) und interagieren zunehmend technologisch mit Musik. Eine digitale Marktanalyse kann dieses Verhalten umfassend auswerten und die Musikentrepreneur* innen können ihr Geschäftsvorgehen entsprechend anpassen. Einige Fragen lassen sich für eine weiterführende Forschung stellen: Inwiefern könnte KI eine Gefahr für Musikprozent*innen darstellen? Wenn alle Menschen sich als Musikentrepreneur* innen vermarkten können, wird es dann nicht schwieriger aus der Masse herauszustechen und erfolgreich zu sein? Wie verändert sich die Rolle der großen Plattenfirmen, wenn Musikschaffende durch digitale Medientechnologien unabhängiger agieren können? Letztlich werden die kommenden Jahre Antworten auf diese Fragen liefern. Der Inhalt dieses Textes ist naturgemäß schnell veraltet, da die Technologien sich in beständiger Weiterentwicklung befinden. Von daher ist jede*r Leser*in herzlich eingeladen Verbesserungsvorschläge anzubringen oder den Artikel zu aktualisieren. 

Literatur

Anastasiadis, M. (2019). Inszenierungen von Popmusik in sozialen Medien. In Social-Pop-Media: Zur Mediatisierung von Popmusik und digitaler Musikpraxis in sozialen Medien (pp. 133–186). Springer Fachmedien.
Gilli, L., & Röver, A. (2019). Die Blockchain in der Musikindustrie. In M. Ahlers, L. Grünewald-Schukalla, M. Lücke, & M. Rauch (Eds.), Big Data und Musik. Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung. (pp. 99–128). Springer VS.
Müller, U. (2019). Talententdeckung und -förderung im Zeitalter von Big Data. In M. Ahlers, L. Grünewald-Schukalla, M. Lücke, & M. Rauch (Eds.), Big Data und Musik: Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung 1/2018 (pp. 153–173). Springer Fachmedien.
Stubbe, J., Lutze, M., & Ferdinand, J.-P. (2019). Kreative Algorithmen für kreative Arbeit? In V. Wittpahl (Ed.), Künstliche Intelligenz: Technologie | Anwendung | Gesellschaft (pp. 255–271). Springer.
Tschmuck, P. (2012). The Digital Music Revolution. In Creativity and Innovation in the Music Industry (pp. 163–196). Springer.

 

Zitation

Wassermann, Martin. (2020). Welche digitale Medientechnologien sind heute für Musikentrepeneur*innen bedeutsam? Musik und Medien – Das Wissensportal. Online verfügbar unter https://www.musikundmedien.org/2020/11/14/wassermann_1/

Kategorien: ProduktionTechnologie

Martin Wassermann

Studierender im Master Studiengang "Medien und Musik" an der HMTM Hannover, Musikproduzent unter dem Namen "Martin Centaury".