Wie verändert sich Musikjournalismus im Bereich der Popularmusik durch digitale Medien?

Veröffentlicht von Julian Kessler am

Durch die Digitalisierung haben sich die Produktions- und Distributionsbedingungen von journalistischen Inhalten radikal gewandelt: Journalistische Musikmagazine stehen im Zuge dieser Entwicklungen heute vor der Herausforderung, sich dem durch die Digitalisierung geänderten Rezeptionsverhalten der Nutzer*innen anzupassen, um auch zukünftig ihre Reichweite beizubehalten und ihren Betrieb finanziell weiterführen zu können. Der folgende Artikel stellt dar, welche Neuerungen die Digitalisierung für Musikjournalist*innen und Rezipient*innen mit sich bringt. Zu Beginn werden die Herausforderungen bzw. die Chancen genannt, die sich aus der Verbreitung digitaler Medien für Print-Magazine sowie für die Arbeitsbedingungen von Journalist*innen ergeben. Unter Zuhilfenahme von aktueller wissenschaftlicher Literatur untersucht der Text anschließend, mit welchen Antwortstrategien sich die musikjournalistische Praxis den neuen Bedingungen bis heute angepasst hat, insbesondere im Hinblick auf die Produktion, die Distribution und die inhaltliche Gestaltung von Inhalten. Dabei sollen auch die neuen technischen Herausforderungen durch die Digitalisierung zur Sprache kommen. Zum Abschluss erfolgt eine Prognose, wie sich der Musikjournalismus in Zukunft weiterentwickeln könnte. Der Fokus liegt hierbei auf dem Musikjournalismus im Bereich der Popularmusik.

Die Demokratisierung der Produktion von Wissen

Generell lässt sich im Online-Sektor zwar eine konstante, aber dennoch eher niedrige Zahlungsbereitschaft verzeichnen . Aus diesem Grund gestaltet sich – ähnlich wie im Print-Segment – auch im Online-Bereich die Refinanzierung als äußerst schwierig. Somit sind prekäre Arbeitsverhältnisse und erhöhte Arbeitsbelastung durch Zeitdruck auch hier weit verbreitet . Die Verbreitung des Internets ermöglicht den Leser*innen heute einen orts- und zeitunabhängigen Zugang zu Online-Musikartikeln und -Konzertkritiken. Zudem weisen Online-Inhalte geringere Produktionskosten auf und ihre Distribution ist sogar kostenlos. Die geringen Distributionshürden im Internet führen zur Entstehung zahlreicher Musik-Blogs bzw. privat erstellter audiovisueller Formate, die nicht nur von professionellen Musikjournalist*innen, sondern vorrangig von Musik-Fans betrieben werden, die zum Teil als Influencer eine hohe Reichweite erzielen (wie beispielsweise das Video-Format ‚The Needle Drop‘ von Anthony Fontano). Diese „kommunikative Selbstermächtigung“ von Laien bzw. Halb-Professionellen stellt eine Alternative zum institutionellen Musikjournalismus dar, da in Blogs wichtige Positionen in Musikdiskursen aufkommen können, die durchaus Verbreitung finden. Musikindustrielle Akteur*innen, wie beispielsweise Musik-Labels, berücksichtigen daher in zunehmendem Maße auch kleine Musik-Blogs bei ihren Promotions-Aktivitäten .

Die Anzeigen-Auflagen-Spirale und ihre Folgen für die Arbeit von Journalist*innen

Für Musikprint-Magazine sind die mit der Digitalisierung verbundenen Veränderungen dagegen durchaus problematisch. Während diese bis zur Jahrtausendwende aufgrund von großen Werbeverträgen mit Musiklabels und hohen Verkaufszahlen große Gewinne einfuhren , setzte mit der Digitalisierung ein gegenteiliger Trend ein: Die hohen Produktionskosten von Print-Produkten übersteigen den Erlös durch den Verkauf mittlerweile deutlich. Dies liegt daran, dass die vormaligen Leser*innen von Print-Erzeugnissen Artikel mit popkulturellem Bezug aufgrund des vereinfachten Zugangs zunehmend im Online-Bereich lesen. Als Resultat nehmen die Abonnement-Zahlen von Print-Magazinen kontinuierlich ab , weshalb viele Werbetreibenden ihre Aktivitäten in den Online-Bereich verlagern. Durch den daraus resultierenden Wegfall des Anzeigenmarkts fehlt den Musikzeitschriften-Verlagen ein erheblicher Teil der für den Erhalt der Printmagazine wichtigen Einnahmen . Die Folgen dieser sogenannten Anzeigen-Auflagen-Spirale sind Verkleinerungen von Musikredaktionen und das Freistellen von ursprünglich fest angestellten Musikjournalist*innen. Dies ist oftmals mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verbunden . Durch den enormen Kostendruck waren die Print-Magazine Intro und SPEX im Jahr 2018 sogar gezwungen, ihren Betrieb einzustellen. Das letztgenannte Magazin bietet seine Inhalte nun weiterhin im Internet an .

Neue journalistische Herausforderungen und Probleme infolge der Digitalisierung

Das durch die Digitalisierung entstandene Überangebot von Inhalten im Internet stellt neue Anforderungen an die Produktion von musikjournalistischen Artikeln und Formaten. Dadurch, dass die Nutzer*innen aufgrund der vielfältigen medialen Angebote oftmals mehrere Dienste und Produkte gleichzeitig konsumieren, wird es für Mediendienstleister im Bereich der Pop-Musik zunehmend schwer, die verknappte Aufmerksamkeit der Rezipient*innen mit ihren Online-Inhalten für sich zu gewinnen . Das Internet fungiert darüber hinaus nicht einfach nur als ein weiterer Ausspielweg bereits veröffentlichter Print-Inhalte. Vielmehr repräsentiert es einen medialen Raum, der neue Qualitätsanforderungen an die Formate stellt : Reine Printformate oder Verschriftlichungen von Interviews reichen demnach nicht mehr aus, um Leser*innen anzuziehen. Eine weitere Herausforderung für musikjournalistische Seiten liegt in der Auffindbarkeit ihrer Inhalte im Netz. Der häufigste Zugang zu Online-Artikeln erfolgt über Suchmaschinen wie etwa Google . Demnach ist eine gute Platzierung musikjournalistischer Formate bzw. Artikel in den Suchmaschinen-Ergebnissen – auch Suchmaschinen-Ranking genannt – von großer Bedeutung, damit eine größtmögliche Zahl von Nutzer*innen auf die Inhalte aufmerksam werden. Um ein hohes Ranking zu erzielen, ist unter anderem die gezielte Verwendung bestimmter Stichwörter, sogenannter Keywords, vonnöten. Die Suchmaschinen-Algorithmen durchsuchen die jeweiligen Artikel nach relevanten Stichworten und zeigen diese bei einer großen thematischen Übereinstimmung mit zielgerichteten Suchanfragen auf den oberen Ergebnisplätzen an. Darüber hinaus stellen Musik-Empfehlungsdienste in den ‚sozialen Medien‘ (etwa auf Youtube) und in Streaming-Diensten eine besondere Problematik für Musikjournalist*innen dar. Diese Empfehlungsdienste sind nämlich nicht nur in der Lage, den Nutzer*innen neue Musikstücke auf Basis der zuvor gehörten Musik zu empfehlen, sondern vermehrt auch Kontextinformationen zu liefern, wodurch die Nutzer*innen den Mehrwert des musikjournalistischen Qualitätsjournalismus zunehmend in Frage stellen .

Vielfältige Strategien von Musikmagazinen zur Reichweitensteigerung

Für Musikmagazine ist es heutzutage aufgrund des geänderten Rezeptionsverhaltens der Leser*innen offensichtlich enorm wichtig, eine verstärkte Präsenz in der digitalen Welt zu zeigen, um ihre Leserschaft zu erhalten und diese gegebenenfalls zum Kauf ihrer Print-Produkte zu animieren . Dies belegen die Internetauftritte von deutschen, ursprünglich reinen Print-Magazinen wie Musikexpress und Rolling Stone, die zusätzlich zu ihren periodisch erscheinenden Print-Produkten in der Online-Sphäre vielfältige Inhalte kostenlos zur Verfügung stellen. Medienunternehmen beginnen durch das Aufkommen von digitalen Netzwerkmedien außerdem zunehmend, ihre Zielgruppen als aktive Teilnehmer*innen zu rekonzeptualisieren und ihren Fokus nicht mehr auf individuelle Personen, sondern auf sozial aktive und vernetzte Publikumsgruppen zu setzen . Um möglichst viele Interessierte zu erreichen, steuern Musikjournalist*innen ihre Inhalte daher vermehrt so aus, dass sie eine möglichst einfache und schnelle Verbreitung in den ‚sozialen Netzwerken‘ wie etwa Facebook, Instagram oder TikTok erfahren. In diesem Zusammenhang müssen Musikjournalist*innen ihre Formate heute daher besonders dem Mediennutzungsverhalten junger Menschen anpassen: Dabei sind audiovisuelle musikjournalistische Formate gefragt, welche die Nutzer*innen nicht nur auf emotionaler Ebene ansprechen, sondern auch eine erklärende, einordnende und kritische Funktion einnehmen . Diesen Ansatz verfolgen inzwischen einige Online-Magazine, indem sie tiefergehende Zusammenhänge von musikalischen Produkten und exklusive Reportagen zu vielversprechenden Newcomern veröffentlichen, um die Leser*innen vom qualitativen Mehrwehrt ihrer journalistischen Arbeit zu überzeugen , wie beispielsweise DASDING, BR PULS oder das Diffus Magazin. In einer Studie von Gunter Reus und Ruth Müller-Lindenberg über die Zukunft der Musikkritik äußerten mehrere Musikjournalist*innen dieselben Ansichten in Bezug auf audiovisuelle Formate: Neue mediale Ausspielwege (wie beispielsweise Podcasts, siehe SPEX-Podcast und Musikexpress-Podcast) und kurze Video-Interviews und -Rezensionen im Internet (beispielsweise die Interview-Reihe Song-Tindern von DASDING, dem Jugendradioprogramm des SWR) werden heutzutage immer wichtiger, um die jungen Nutzer*innen aus ihrer Lebensrealität abzuholen und als regelmäßige Leser*innen zu gewinnen. Klassischen journalistischen Print-Formaten sagten sie mit Ausnahme einiger Spezialthemen einen völligen Niedergang voraus. Aufgrund der großen Konkurrenz durch Mitbewerber*innen – seien es professionelle Seiten oder halb-professionelle Blogger*innen – ist nach Aussagen der in der Studie befragten Musikjournalist*innen zudem das Erlernen von technischen Methoden wie der Suchmaschinenoptimierung (SEO) heute essentiell, um eine gutes Suchmaschinen-Ranking der eigenen Inhalte und somit eine Reichweiten-Steigerung der Webseite zu bewirken . Im Hinblick auf den gestiegenen Angebotsumfang von Streaming-Diensten und Musikempfehlungsdiensten kann sich der professionelle Musikjournalismus zudem nur profilieren, indem er transparent agiert und seine Arbeitsweisen offen kommuniziert. Deshalb gehen einige Online-Musikmagazine mittlerweile dazu über, ihre Nutzer*innen auf interaktive Weise aktiv zur Mitgestaltung der eigenen Inhalte ermutigen, um den Wert der eigenen journalistischen Marke zu steigern . Das Video-Format Puls Musik Analyse der Jugendsparte des Bayerischen Rundfunks setzt diese Anforderungen bereits auf ansprechende Weise um.

Qualitätsanspruch als Herausstellungsmerkmal einer de-professionalisierten Branche

Welche Neuerungen bringt die Digitalisierung für den Musikjournalismus nun mit sich? Durch die geringen Distributionshürden im Internet ist eine De-Professionalisierung der Branche durch Blogger*innen zu beobachten. Gleichzeitig erhält der Musikjournalismus ernstzunehmende Konkurrenz durch technische Neuerungen, wie etwa Musik-Empfehlungsdiensten. Die professionellen Medienschaffenden müssen heutzutage innerhalb des medialen Überangebots einerseits ihre Qualitätsmerkmale noch stärker hervorheben, wie beispielsweise das Vermitteln von fundiertem Kontext und das Anbieten von exklusiven Einblicken. Andererseits sind sie gefordert, unterhaltsame und innovative (Bewegtbild-)Formate zu entwickeln, die in den sozialen Netzwerken eine große Zahl von interessierten Leser*innen erreichen. In diesem Zusammenhang wird auch die Beschäftigung mit technischen Aspekten wie der Suchmaschinenoptimierung zunehmend wichtiger.

Ausblick: Neue Refinanzierungsmodelle für Musikjournalismus?

Ein professioneller und redaktionell organisierter Journalismus wird in einer Demokratie auch weiterhin wichtig bleiben . Es ist allerdings davon auszugehen, dass Print-Magazine noch stärker an Relevanz verlieren werden, da der bisherige Trend einer verstärkten Nachfrage nach teilbaren Online-Inhalten, insbesondere nach audiovisuellen Formaten, anhalten bzw. sogar weiter zunehmen wird. Qualitativ hochwertiger Online-Musikjournalismus kann demnach sogar deutliche Zuwächse erwarten, wenn es ihm gelingt, sich durch neuartige, partizipative Ideen von der Masse an journalistischen Inhalten hervorzuheben. Ob eine Besserung der teilweise prekären Arbeitsbedingungen der Musikjournalist*innen in naher Zukunft eintritt, bleibt offen. Grundsätzlich sind auch für musikjournalistische Seiten alternative Bezahlmodelle in Anlehnung an unabhängige journalistische Online-Seiten wie beispielsweise Krautreporter oder Riffreporter denkbar, die genossenschaftlich organisiert sind und den Reporter*innen durch konstante bzw. steigende Abonnent*innen-Zahlen ein regelmäßiges Einkommen sichern.

Literatur

Gerhardt, D. (2018, October 15). Das Ende ist nah – SPEX wird eingestellt. SPEX.
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Hölig, S., & Hasebrink, U. (2019). Reuters Institute Digital News Report 2019 – Ergebnisse für Deutschland. Verlag Hans-Bredow-Institut.
Jenkins, H. (2013). Spreadable Media. Creating Value and Meaning in a Networked Culture. New York University Press.
Kaye, J., & Quinn, S. (2010). Funding Journalism in the Digital Age. Business Models, Strategies, Issues and Trends. Peter Lang Publishing.
Koch, D. (2018, April 27). Intro verabschiedet sich. Intro.
Kramp, L., & Novy, L. (2013). Journalismus in der digitalen Moderne: Aufbruch in eine ungewisse Zukunft. In L. Kramp, L. Novy, D. Ballwieser, & K. Wenzlaff (Eds.), Journalismus in der digitalen Moderne. Einsichten – Ansichten – Aussichten (pp. 235–240). Springer Fachmedien.
Lange, B. (2018). Musikalische Produktion 2.0. Über die widerstreitende Rolle von digitalen Empfehlungssystemen, Journalisten und dezentralen Bewertungsalternativen. In H. Schwetter, H. Neubauer, & D. Mathei (Eds.), Die Produktivität von Musikkulturen (pp. 167–184). Springer Fachmedien.
Lüddemann, S. (2015). Kulturjournalismus. Medien, Themen, Praktiken. Springer Fachmedien.
Reus, G., & Müller-Lindenberg, R. (2017). Die Notengeber. Gespräche mit Journalisten über die Zukunft der Musikkritik. Springer Fachmedien.
Troehler, J. (2018, August 22). Wie Musikjournalismus die Digitalisierung überleben kann. Medium.

 

Zitation

Kessler, Julian (2020): Wie verändert sich Musikjournalismus im Bereich der Popularmusik durch digitale Medien? Musik und Medien – Das Wissensportal. Online verfügbar unter https://www.musikundmedien.org/2020/11/26/kessler2/

Kategorien: KulturVermittlung

Julian Kessler

Absolvent des Master-Studiengangs „Medien und Musik“ an der HMTM Hannover und freier Mitarbeiter bei regioactive und Backstage Pro