Wie lassen sich computer- und netzbasierte Medien in der musikalischen Früherziehung einsetzen?

Veröffentlicht von Ann-Kristin Zoike am

Seit über 50 Jahren gibt es das Angebot der musikalischen Früherziehung, bei dem Kinder auf spielerische Art und Weise erste Erfahrungen mit Musik machen und auf den späteren Musikunterricht vorbereitet werden. Im Zuge des Medienwandels und der damit verbundenen Mediatisierung, mit der die zunehmende mediale Durchdringung des gesellschaftlichen Lebens beschrieben wird, erlangen Medien zunehmend eine größere Bedeutung für das Lernen. Bereits ab dem Kleinkindalter können Medien, z.B. in Form von Bilderbüchern, das Lernen unterschiedlicher Inhalte unterstützen. Durch die zunehmende Verbreitung von computer- und netzbasierten Medien, allen voran dem Internet, entwickelte sich mit dem Begriff des E-Learnings seit den 1990er Jahren eine neue Form des Lehrens und Lernens mittels elektronischer Medien, dessen Angebote sich immer mehr ausdifferenzieren. Verschiedenste Computer-Lernspiele oder Selbstlern-Apps zu einer Vielfalt an Themen eröffnen neue Möglichkeiten des informellen Lernens. So können Kinder beispielsweise anhand einer App die Tastatur des Klaviers kennenlernen, auch ohne, dass dafür das Instrument zunächst angeschafft werden muss. Gab es zu Beginn der musikalischen Früherziehung nur Medien wie Bücher und Rundfunk, ergeben sich im Zuge der Digitalisierung auch für diesen Bereich neue Möglichkeiten mediengestützter Vermittlung von Inhalten.

Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der Artikel mit der Frage, wie computer- und netzbasierte Medien in der musikalischen Früherziehung eingesetzt werden können. Welchen Beitrag leisten Medien wie Apps und Computersoftware zur Förderung von Kreativität, Fantasie sowie sozialer, kognitiver und motorischer Entwicklung in der musikalischen Früherziehung? Eine wissenschaftliche Betrachtung dieser Thematik ist sowohl für praktizierende Musikpädagog*innen als auch für Forschende im Bereich der Musik- und Medienpädagogik interessant. Nicht zuletzt ist die Frage für interessierte Eltern relevant, die überlegen, ihr Kind zur musikalischen Früherziehung anzumelden.

Um den möglichen Einsatz computer- und netzbasierter Medien in der musikalischen Früherziehung nachvollziehen zu können, werden zunächst die grundlegenden Inhalte und Methoden der musikalischen Früherziehung in Deutschland als Referenz vorgestellt. Auf dieser Basis werden bisherige Forschungsergebnisse zum Einsatz computer- und netzbasierter Medien in der musikalischen Früherziehung präsentiert und zusammengefasst. Abschließend werden die zukünftigen Herausforderungen für die musikalische Früherziehung diskutiert.

Inhalte und Methoden der musikalischen Früherziehung

Die musikalische Früherziehung wird formal definiert als Musikunterricht für Vorschulkinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren . In Deutschland gab es erste Ansätze für die musikalische Früherziehung bereits im 19. Jahrhundert, jedoch wurde der Prozess erst mit dem „Curriculum Musikalische Früherziehung“ 1968 entscheidend vorangetrieben und vereinheitlicht. Mit dem Curriculum reagierte der Verband deutscher Musikschulen auf das Vorhaben der Firma Yamaha, 2000 Kindermusikschulen ab 1967 zu eröffnen. Heutzutage gilt die musikalische Früherziehung als regulärer Bestandteil des Musikschulangebots. Aufgrund der zunehmenden Ganztagsbetreuung in Deutschland verlagert sich das Angebot im Vergleich zu den 1970er Jahren immer mehr auf Kindergärten oder Vorschulen .

Ziel der musikalischen Früherziehung ist eine ganzheitliche Förderung des Kindes in Bezug auf dessen Intelligenz, Begabung, Kreativität und Sozialverhalten durch vielfältige Erfahrungen mit Musik. Kinder sollen Sinnmuster erlernen, die ihnen dabei helfen die Welt zu deuten. „Dies geschieht auch dadurch, dass die Kinder Muster und Materialien ihrer Umwelt aufnehmen und diese mit ihren eigenen Mustern in eine Verbindung bringen, ihnen ihre Bedeutung geben und so etwas Neues schaffen.“

Der aktuelle Bildungsplan des Verbands deutscher Musikschulen sieht folgende sechs Inhaltsbereiche für die musikalische Früherziehung in Deutschland vor:

  1. Singen und Sprechen: Die Kinder singen Lieder und bilden ihre Stimme in Spielen, Geschichten und Übungen.
  2. Elementares Instrumentalspiel: In Klangexperimenten und im Ausprobieren verschiedener Instrumente erlernen sie die Grundlagen des instrumentalen Spiels.
  3. Bewegung und Tanz: Durch Spiele und Aufgaben zur Bewerbungskoordination, -umschaltung und -verbindung, Tänze und Bodypercussion bewegen sich die Kinder frei zur Musik, nehmen ihren Körper als Ausdrucksmittel wahr und erlangen ein erstes Rhythmusgefühl.
  4. Wahrnehmen und Erleben: Beim Hören von Tönen, Werken aller Stilrichtungen und Epochen sowie ihrer akustischen Umwelt sensibilisieren sie ihr Gehör und begegnen den verschiedenen Instrumentengruppen.
  5. Denken und Symbolisieren: Die Kinder lernen die elementare Notenlehre kennen und sprechen über Musik.
  6. Verbinden von Musik mit anderen Ausdrucksformen: Sie erfahren Musik in Verbindung mit Sprechversen, Pantomime, Rollenspiel und Kunstwerken, malen zu Musik und basteln eigene Instrumente.

Gemein ist allen Methoden in der musikalischen Früherziehung ein kindgerechter, spielerischer Ansatz. Darüber hinaus sollen die Methoden körper- und bewegungsorientiert, multisensorisch, mehrkanalig, interaktiv und den individuellen Bedingungen der einzelnen Gruppen angemessen ausgestaltet sein . Beispielweise werden die unterschiedlichen Notenwerte anhand einer selbst gebastelten Papiertorte, bei der die „Tortenstücke“ bestimmten Notenwerten entsprechen, veranschaulicht. Als Unterrichtsmaterialien stehen laut des Bildungsplans Instrumente, Geräte und Objekte, Natur- und Alltagsgegenstände, Bildmaterialien und Tonträger zur Verfügung. Der Einsatz von computer- und netzbasierten Medien wird im Bildungsplan nicht explizit genannt. Denkbar wäre es jedoch, derartige Medien zu nutzen, mit denen die Kinder selber musizieren, improvisieren, mit Klängen experimentieren und unterschiedliche Instrumente kennenlernen können. Des Weiteren könnten computer- und netzbasierte Medien eingesetzt werden, um das Hören der Kinder zu schulen.

Effekte des Medieneinsatzes in der musikalischen Früherziehung

Wie werden nun computer- und netzbasierte Medien in der musikalischen Früherziehung eingesetzt? Und welche Ergebnisse resultieren aus der Mediennutzung? Wie die Musikpädagogin Susan Young in ihrem Überblick über die Forschung zur frühkindlichen musikalischen Erziehung festhält, befindet sich dieses Forschungsgebiet trotz der weitreichenden Auswirkungen der neuen Medien auf die Musik im frühen Kindesalter international noch in den Anfängen.

Eine der wenigen Studien auf diesem Feld stammt von Christina Panagiotakou und Jenny Pange . Sie führten eine Studie an Kindergärten in Griechenland durch, bei der die Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren Bilder von Instrumenten den gehörten Musikbeispielen mithilfe einer Musiksoftware zuordnen sollten. Dabei sollte die erste Gruppe die Zuordnung per Computer-Maus-Klick vornehmen, während die zweite Gruppe durch ihre Körperbewegung die Bilder zuordnete. Im zweiten Fall wurden sowohl mehr richtige Antworten erzielt als auch ein höheres Niveau an Konzentration und Interesse erreicht. Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass computergestützte Musikaktivitäten in Kombination mit einer alternativen Möglichkeit der Maussteuerung als pädagogisches Werkzeug betrachtet werden können.

In einer weiteren Studie untersuchten Laura Ferrari und Anna Rita Addessi in einem italienischen Kindergarten, ob und wie die interaktive Musiksoftware „Continuator“ genutzt wird. Mithilfe der Software können die Kinder Musik produzieren und die Software „antwortet“ mit der Wiederholung oder der Veränderung des musikalischen Inputs. Die Befunde der Autorinnen zeigen, dass die Kinder einen musikalischen Dialog mit der Software eingingen und sich ein kollaboratives Spiel entwickelte. Außerdem wirkte sich das Spiel mit der Software positiv auf die Kreativität, die Konzentrationsfähigkeit und die Erkundungsfreude der Kinder aus. In einer ähnlichen Studie zum Einsatz des Improvisationsprogramms „MIROR Impro“ stellten die Forschenden fest, dass die Kinder erst zur Interaktion mit der Software von der Betreuungsperson ermutigt werden mussten .

Einige weitere Studien befassen sich mit dem Einsatz von Apps zum Musiklernen. Suzanne Burton und Aimee Pearsall erfassten die Präferenzen von vierjährigen Vorschülern in Bezug auf Musik-Apps. Den Autorinnen zufolge bevorzugten Kinder Apps mit hoher visueller Stimulation, einfacher Navigation und bekannter Musik. Allerdings regten diese Apps die Kinder nicht zu einer Vielfalt an musikalischen Reaktionen wie Gesang, Bewegung, Rhythmus oder eigenen musikalischen Antworten an, die für eine musikalische Früherziehung charakteristisch wären. Des Weiteren interagierten die Kinder auch musikalisch nur wenig untereinander. Matthias Krebs führt an, dass Methoden für eine angemessene Einbeziehung von Apps als digitales Instrumentarium in pädagogischen Angeboten entwickelt werden müssten, „um partizipative Räume zu schaffen, die interaktive Gestaltungsmöglichkeiten, visuelles Feedback, Mobilität und die Möglichkeiten spielerischen Experimentierens integrieren und auch die Schnittstellen zum Internet nutzen.“

Zukünftige Herausforderungen der musikalischen Früherziehung

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Einsatz von computer- und netzbasierten Medien in der musikalischen Früherziehung bisher sehr zurückhaltend ist. Bisherige Einsatzfelder finden sich in der Schulung des Gehörs, im Erzeugen von Klängen, im Improvisieren und im instrumentellen Spiel. Die Studienergebnisse zum Einsatz computer- und netzbasierter Medien in der musikalischen Früherziehung zeigen vereinzelt positive Effekte auf die Kreativität und die musikalische Interaktion, die Sensibilisierung des Gehörs sowie die Konzentrationsfähigkeit der Kinder. Insgesamt ergibt sich durch computer- und netzbasierte Medien ein neuer, spielerischer Zugang zu und eine weitere Erfahrungsmöglichkeit von Musik für Kinder. Musikpädagog*innen können dadurch die musikalische Früherziehung methodisch abwechslungsreicher gestalten und das selbstständige Lernen von Kindern unterstützen. Ebenso haben Eltern die Möglichkeit auch in informellen Lernräumen ihre Kinder mithilfe computer- und netzbasierter Medien musikalisch zu erziehen.

In Anbetracht der dünnen Forschungslage fehlen bislang valide, verallgemeinerbare Antworten auf Fragen nach dem Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und ihrer Förderung hinsichtlich Emotion und Ausdrucksfähigkeit, Kognition und Sprache, Motorik und Sinneswahrnehmung sowie sozialer Interaktion. Ein besonderer Forschungsschwerpunkt sollte zukünftig auf der angemessenen Ausgestaltung computer- und netzbasierter Medien und ihrem methodischen Einsatz in der musikalischen Früherziehung liegen.

Zuletzt stellt sich die Frage, warum die musikalische Früherziehung in ihren Traditionen verbleibt, obwohl vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Verfügbarkeit digitaler Medien diese als moderne Bildungsressourcen immer wichtiger werden. In der musikalischen Früherziehung scheint nach wie vor die Überzeugung vorzuherrschen, dass nur eine natürliche, sinnliche und körperliche Vermittlung zu einer musikalischen Erfahrung führt – eine Erfahrung, wie sie von Technologien, d.h. auch computer- und netzbasierten Medien, nicht hervorgerufen werden könnte. Im Gegenteil: Technologien wird abgesprochen, dass sie die Bedürfnisse der Kinder nach Unterstützung und Hilfe ausreichend erfüllen könnten. Vielmehr noch dominiert das Bild von schädlichen Einflüssen der neuen Technologien, vor denen die Kinder geschützt werden müssten . Fraglich ist, inwiefern die musikalische Früherziehung mit diesen traditionellen, antitechnischen Überzeugungen dem kulturellen Wandel noch gerecht wird. Inwiefern vermittelt die musikalische Früherziehung den Kindern entsprechende Kompetenzen, sich in einer zunehmend digital vermittelten Musikwelt zurechtzufinden? Dabei stellt sich auch die Frage, ob computer- oder netzbasierte Medien, wie Musikapps, als ein eigenständiges Instrumentarium aufgefasst und damit fester Bestandteil der musikalischen Früherziehung werden müssten. Um eine zukunftsgerechte Bildung zu gewährleisten, wäre spätestens damit eine Anpassung der Inhalte und Methoden der musikalischen Früherziehung unerlässlich.

Literatur

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Panagiotakou, C., & Pange, J. (2010). The use of ICT in preschool music education. Procedia. Social and Behavioral Sciences, 2(2), 3055–3059. https://doi.org/10.1016/j.sbspro.2010.03.464
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Zitation

Zoike, A. (2020). Wie lassen sich computer- und netzbasierte Medien in der musikalischen Früherziehung einsetzen? Musik und Medien – Das Wissensportal. Online verfügbar unter https://www.musikundmedien.org/2020/11/23/zoike_1/.

Kategorien: KulturVermittlung

Ann-Kristin Zoike

Studentin im Master-Studiengang "Medien und Musik" an der HMTM Hannover, Hobbygeigerin und freie Texterin für Programmhefte.